Eröffnung: Samstag, den 26. April 2008 um 17.00 Uhr
Begrüßung: Katharina Goldbeck-Hörz
Einführung: Wolfgang Zurborn
Worin besteht das Wesen einer Person? Aus ihrer äußeren Erscheinung, oder aus einer tiefer liegenden Identität, einem inneren Kern oder einem eingelebten kulturellen Konsens? Ist der Charakter unveränderlich, oder von Fall zu Fall, von Situation zu Situation immer wieder neu zu konstruieren?
Was bedeuten diese Überlegungen für die Darstellung von Individuen im Medium der Fotografie? Zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Vordergrund und Hintergründigkeit sind verschiedenartige Weisen der Präsentation möglich: die offensichtliche Enthüllung, zwischen direkter Exhibition und subtiler Offenbarung, die gekonnte Verhüllung der Oberfläche und die Verstellung eines angeblich eindeutigen Charakters. In der Gattung Porträt überschneiden sich die Dokumentation der Dinge und die Inszenierungsleistungen von Fotograf und Modell.
Wiebke Leister, Katharina Bosse und Silke Helmerding bieten drei fotografische Modelle für die Definition von Person, Individualität und Authentizität durch die Botschaften von Antlitz, Körper und Schrift.
Wiebke Leister – Zwischen Individuum und Rolle
Wiebke Leister liefert ein Wechselspiel der Bilder zwischen Maskierung und Desmaskierung – in enger Kooperation mit ihrer Freundin, die zugleich Vertraute und Schauspielerin ist. Es entsteht eine Serie unterschiedlichster, vom Dramatischen bis ins Lyrische ausgefeilten Expressionen, die einer realen Person, und ihren verschiedenen alltäglichen Zuständen, aber auch diversen fiktiven Figuren zugeordnet werden können. Leister macht das Modell ihrer Ausdrucksstudien zum Testfall für die Frage: Handelt es sich um echten, unmittelbaren und einheitlichen Ausdruck oder ein ausdifferenziertes künstlerisches Spiel, das sich in zahllose Rollen immer weiter fragmentiert? Das Antlitz der Schauspielerin wird zu einem Studienobjekt zwischen bühnenwirksamem Ausdruck und subtiler fotografisch-filmischer Projektionsfläche. Eine Freundin reißt emotionale Zustände an und bietet als professionelle Darstellerin ein variantenreiches Spiel plastischer Affekte. In differenzierter Technik werden nicht nur eindeutige emotionale „Phasen“, sondern feine Gefühlsübergänge sichtbar, die Wiebke Leistner in der Vertrautheit zum Modell in voller Dynamik festhalten kann.
Katharina Bosse – Vom Antlitz zum Körper
Katharina Bosse bevorzugt leibliche Signale, die Körpersprache eines prall-sinnlichen Glamours, der in bestimmten Posen, Figuren und zeitlosen Moden der 40er Jahre den schwelgerischen Ausdruckswert erotischen Selbstbewusstseins als Inszenierung von Freiheit und Unabhängigkeit vertritt. Als Eye Catcher und Pin Up mitten im allzu normalen Leben, immer auch mit einem Schuss Distanz und Ironie. Das Posing als Kunst der knappen (Ent-) Kleidung und verlockenden Körperhaltung, welche die Szenerie des Alltags in eine Erlebnis-Bühne verwandelt. Kommerzielle und künstlerische Fotografie verschmelzen Mode und Alltag – Fiktion und Realität sind kaum trennbar. Die Inszenierung ist der Reißverschluss, der Selbstentwurf ist das Schlüsselwort. Mitten im Alltag behauptet sich die neue starke Weiblichkeit, und appelliert als Femme Fatale und weiblicher Dandy – mit einem prickelnden, bunten Gefühl des Begehrens, um das Leben kreativ in Brand zu setzen.
Silke Helmerding – Identität zwischen Entfremdung und Emanzipation
Silke Helmerding setzt sich mit den medialen Möglichkeiten von Nähe und Distanz im Kontext eines fotografischen Selbstporträts auseinander. Eine Aufnahme in Schwarzweiß, die das Gesicht der Fotografin darstellt und gleichsam „ausweist“, wirkt in identischer Wiederholung zunehmend statisch, wie ein aus dem Kontext gerissenes Passphoto. Das eindringliche Nahporträt steht in voller Intimität, Auge in Auge dem Betrachter gegenüber und zieht ihn in den hyperrealistischen Bann einer Gesichtslandschaft. Die Wiederholung macht das Bild zur Marke – zum Medienprodukt, zum Artefakt und Konstrukt. Über das Bild wird eine Schrift-Ebene eingeblendet, die in zahlreichen Varianten verschiedene Zitate aus Vilém Flussers Traktat „Jude sein“ anführt.
Durch die Aphorismen des Textes wird die anfänglich wirkungsvolle Authentizität des Bildes, die bis dahin scheinbare Präsenz der dargestellten Person gebrochen und umgemodelt. Das Bild wird schon durch seine Wiederholung zunehmend zur Maske und zur Spielmarke und verliert damit an Unmittelbarkeit. Es mutiert zum Konstrukt, das auf zusätzliche Erklärungen angewiesen sein könnte, durch die angeführten Zitate aber noch weiter einer Verfremdung unterzogen wird. Die jüdische Existenz wird zur Metapher eines modernen Lebens, in dem Identitäten und Identifikationen schon aus subjektiver Sicht zunehmend ungesichert und prekär werden, zumal sie erneuten „Ausweisen“ und „Ausweisungen“ von außen unterworfen werden. Helmerdings Anliegen besteht darin, die mit dem „Jüdischen“ gesetzte leidvolle historische Bedingung anzunehmen und ihr doch zugleich mit emanzipatorischer Distanz zu begegnen.
Peter V. Brinkemper
Die Galerie ist samstags von 16.00 bis 18.00 Uhr, sonntags von 11.00 bis 13.00 Uhr und nach Absprache geöffnet.